Cloroform

Berlin, Mudd Club, 28.01.2006

( English translation by Google Translation by Google )

Konzertbericht

Reviewdatum: 28.01.2006

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Redakteur(e):

Ralf Stierlen


Berlin, Mudd Club, 28.01.2006

Samstagabend im Mudd Club in Berlin, das bedeutet jede Menge Partygänger, mitunter kann man hier auch Teilnehmer am Club-Hopping beobachten (im extremen Fall entert eine schon angeheiterte Meute einen Club, ordert einige Drinks und zieht dann wieder von dannen). Immerhin ist es ziemlich gut gefüllt und alle sind in freudig gespannter Erwartung ob des ersten Liveauftritts der norwegischen Elektro-Pop-Soul-Noise-Weirdos von CLOROFORM in der Hauptstadt.
Speziell für die Tour hatte man sich zum Quartett verstärkt, indem man Raldo Useless von der auch nicht ganz unbekannten, im letzten Jahr leider aufgelösten norwegischen Band GLUECIFER als Gitarristen mit an Bord genommen hat.
Nach ziemlich langer Vorlaufzeit (in Berlin laufen die Uhren, gerade am Wochenende, etwas anders) enterten die vier im Müllmänner-Outfit die Bühne des gruftigen Kellergewölbes. Und gleich ging verschärft die Post ab, Rock'n'Roll ohne Tempolimit, mit Psychobilly- und Noiseeinflüssen garniert. Frontwirbelwind John Kaada, mit LED-Display-Gürtel singt nicht nur, er schreit, zirpt, flüstert, quietscht, gurrt, ganz zu schweigen von den Lauten, die er mit scheinbar hundert Armen seinen beiden Keyboards entlockt.

Cloroform Der nicht nur optisch, sondern auch spieltechnisch ziemlich gewaltige Øyvind Storesund bearbeitet seinen Standbass mal mit zärtlicher Hingabe und mal mit brachialer Gewalt, Raldo kriegt das Grinsen gar nicht mehr von seinem Gesicht und Drummer Børge Fjordheim leistet unglaubliches auf einem fast schon etwas Spielzeug-artig aussehendem Drumkit. Dazu betätigt er sich, gemeinsam mit Kaada natürlich, als Entertainer ("these are the nicest faces we ever saw" - "go home and multiply yourself, so there are even more nice faces next time" - so geht es eine Weilchen bis der freundliche Ruf "shut up and play" erfolgt) und erfreut mit seinen neugewonnenen Deutschkenntnissen (jeden Tourtag ein zusätzliches Wort - "Tschüss bis morgen" - und noch ein Wort, das ich hier nicht aufschreiben kann, da das Hooked on Music sonst indiziert wird, es endet mit .anzvergleich).

Cloroform Angesichts des wirbeligen Powersouls, der unverschämt funkigen Grooves und abgedrifteten Sounds, besonders von Charismatiker Kaada, steigt die ohnehin prächtige Laune des Publikums schnell und stetig in Richtung Dampfkessel, allenthalben nähern sich die Mundwinkel verdächtig den Ohren.
Insbesondere Material der neuen Scheibe "Cracked Wide Open", aber auch ein wenig älteres und unveröffentlichtes Material geben ein imposantes Abbild des bunten, verqueren und musikalisch äußerst vielseitigen Schaffens von CLOROFORM. Und das Ganze ist live einfach unschlagbar druckvoll, tanzbar und auch immer wieder lustvoll noisig, mit einer alles andere als eingefahren wirkenden Performance, die trotz bereits unzähliger geschlagener Liveschlachten spontan, sympathisch und witzig rüberkommt. So wenn zum Beispiel Kaada mit viel Gedöns das ultimative Rockriff ankündigt, das alles von DEEP PURPLE über NIRVANA in den Schatten stellen würde.

Cloroform Grandios auch das immer wieder in popferne Gefilde vordringende Bassspiel von Storesund, der ansonsten bei KAIZERS ORCHESTRA die Därme schwingen lässt und sowohl seine Jazzwurzeln als auch seine Liebe zu Metalsounds spüren lässt. Zusammengehalten wird diese ganze irrwitzige Melange von Fjordheim, ein Energiebündel, das trotzdem unglaubliche Kontrolliertheit und Effizienz ausstrahlt. Dabei spielen die Jungs perfekt auf der Klaviatur der Gefühle, mal zärtlich, mal aggressiv, mal fast verträumt, dann wieder aufpeitschend. Das alles ohne Netz und doppelten Boden, immer entlang der Grenzelinien zwischen Avantgarde, Pop, Elektroclash, Noise oder funkigem Rock.

Cloroform Ein fantastisches Konzert von Vollblutmusikern, die ihre unglaubliche Musikalität auf der Bühne exzessiv ausleben und mit ihrer beeindruckenden Präsenz jenseits aller Klischees und Konventionen ein unbedingtes Muss für alle scheuklappenfreien Liebhaber frischen, nonkonformistischen Powerpops.
Lange nach Mitternacht endete ein denkwürdiges und allen Beteiligten noch lange im Gedächtnis haftender Gig einer Band, die sich über herausragende Individuen definiert und dennoch als Einheit darstellt und die in Zukunft noch für einige Überraschungen gut sein wird.

Ralf Stierlen, 31.01.2006

 

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