Hawkwind Sonic Attack, Atomhenge, 2010 (Re-Release von 1981) |
Dave Brock | Guitars, Keyboards & Vocals | |||
Harvey Bainbridge | Bass, Keyboards & Vocals | |||
Huw Lloyd-Langton | Guitar & Vocals | |||
Martin Griffin | Drums | |||
Gast: | ||||
Michael Moorcock | Vocals (on Coded Languages) | |||
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CD 1 (Original Album) | ||||
01. Sonic Attack | 06. Living On A Knife Edge | |||
02. Rocky Path | 07. Coded Languages | |||
03. Psychosonia | 08. Disintegration | |||
04. Virgin Of The World | 09. Streets Of Fear | |||
05. Angels Of Death | 10. Lost Chances | |||
CD 2 (Bonus Tracks) | ||||
01. Angels OF Death (Single Version) | 06. Streets Of Fear (Alternate Version) | |||
02. Transdimensional Man (Single B-Side) | 07. Devilish Dirge | |||
03. Sonic Attack (First Version) | 08. The End Of Earth City (Demo) | |||
04. Out Of The Void | 09. The Speed Of Light (Demo Of Trandimensional Man) | |||
05. Lost Chances (Extended Version) | 10. Living On A Knife Edge (Extended Version) | |||
Anfang der 1980er Jahre muss magischer Sternenstaub auf das Vereinigte Königreich von England herab gerieselt sein. Plötzlich tauchten dutzende von Rockbands auf, die eines gemeinsam hatten: Sie spielten harten, nicht so sehr vom Blues geprägten Rock, beherrschten ihre Instrumente virtuos, hatten jeweils großen Wiedererkennungswert, rotzten innerhalb kürzester Zeit traumhafte Arrangements hin und bekamen immer die Kurve hin zu warmen, satten Produktionen und einprägsamen, schönen Melodien. Wie alles bekam auch dieses Kind einen Namen: NWOBHM. Bands wie IRON MAIDEN, SAXON, JUDAS PRIEST, BLIZZARD OF OZZ (fälschlicherweise auf den ersten beiden Alben “Ozzy Osbourne“ genannt), MSG, DIAMOND HEAD … ad infinitum … legten innerhalb von zwei, drei Jahren Alben hin, die heute noch als Maßstab gelten und als unerreichbar beweint werden.
Mitten in diese ein bisschen an die Aufbruchsstimmung und Kreativität der Renaissance erinnernde Szenerie kamen vier Hippies unter der Typenbezeichnung “HAWKWIND“ angeschlurft und steuerten wie aus der Hüfte geschossen ihren unsterblichen Beitrag zur NWOBHM bei. Dabei hatten HAWKWIND 1981 alles andere als Grund zur Freude. Nachdem sie wegen Explizitmobbings ihren berühmten Drummer Ginger Baker und im Gefolge gleich auch noch Keyboarder Keith Hale an die frische Luft gesetzt hatten, mussten sie den Rest der Levitation-Tour absagen und verloren ihren Vertrag mit Bronze Records.
Aber HAWKWIND waren schon immer wie Löwenzahn: Man kann ihn ausrupfen, wird es aber nie schaffen, die Wurzel mit rauszuziehen, die schon bald wieder neue Triebe entwickelt und blüht, als sei nichts gewesen. Auch HAWKWIND brauchten nicht lange, um neu zu erblühen. Aus der Not machte man eine Tugend und stellte einfach keinen neuen Keyboarder mehr ein. Diesen Part übernahmen fortan Gitarrist und Sänger Dave Brock und Bassist Harvey Bainbridge. An die Drums setzte sich Martin Griffin, ein alter Bekannter aus der Hawklords-Ära, und nachdem auch ein neuer Plattenvertrag mit RCA Active aus dem Nichts gekommen war, wurde das neue Album “Sonic Attack“ zusammengezaubert.
Getreu dem Titel beginnt das Album mit einer wahren Krachattacke. Sonic Attack, obwohl bereits seit den frühen 1970er Jahren ein Live-Standard, erscheint hier zum ersten Mal auf einer Studio-Platte. War es in früheren Zeiten eher eine mit Fiepsen und Rauschen untermalte Gedichtvorlesung, kommt jetzt die volle Dröhnung. Harvey Bainbridge grölt in autoritärer Stimmlage zu hysterischen Synthi-Klängen seine Anweisungen zum richtigen Verhalten bei einem Lärmangriff. Die definitive Version dieses Titels! Eine alternative, von Dave Brock rezitierte Version auf der Bonus-CD ist nicht annähernd so spektakulär.
Mit fließendem Übergang kommt die Lloyd-Langton-Komposition Rocky Path. Es ist ein recht einfach gestrickter Rock-Song, der aber erst durch HAWKWINDs extravagante Geräuschkulisse zu etwas Besonderem wird. Der Puls dieses und des anschließenden Songs Psychosonia ist Harvey Bainbridges recht laut gemixter weich bummernder Bass, der zusammen mit Martin Griffins einfachem aber druckvollem Drumming das mächtige Soundfundament für die Synthie- und Gitarrenspielereien von “Sonic Attack“ bildet. Addiert mit der hohen Qualität des Songwritings ergeben diese Komponenten einen einzigartig kraftvollen und gleichzeitig feingliedrigen Gesamtsound, den Hawkwind in dieser Konzentration danach nie wieder erreichten.
Das Instrumental Virgin Of The World ist die eher unauffällige Verbindungsbrücke zum parallel entstandenen Schwester-Album “Church Of Hawkwind“. Mit dem gewaltigen Angels Of Death endet die erste Seite der ursprünglichen LP. Auch Angels Of Death ist ein Stück, das über Jahre im Live-Programm gereift ist (zuletzt auf einer der Bonus-CDs von “Levitation“) und hier seinen Versionshöhepunkt erreicht hat. Im instrumentalen Mittelteil bekommt die Bezeichnung “Wall Of Sound“ eine neue Bedeutung (bzw. ein alte, da der Song lange vor dieser Begrifflichkeit entstand).
Die ursprüngliche Seite 2 geht mit Living On A Knife Edge auf diesem hohen Niveau weiter. Hier ist meiner Meinung nach die Extended Version von der Bonus-CD der ursprünglich veröffentlichten gekürzten Version vorzuziehen. In der Extended Version erlangt das Synthie-Dlüdlüdlü aus dem Mittelteil der gekürzten Version eine übergeordnete Rahmenfunktion, die den Song erst jetzt, 29 Jahre nach der Erstveröffentlichung vollständig und rundum vollendet erscheinen lässt. Hervorzuheben ist an diesem Song zusätzlich die famose Rhythm Guitar von Dave Brock, der aus der Tatsache, kein virtuoser Gitarrist zu sein, das Beste rausholt und sein Defizit mit Ideenreichtum mehr als nur kompensiert.
Coded Languages ist eine abgefahrene Moorcock/Bainbridge-Kollaboration. Die Kombination aus dem schrägen Gesang Michael Moorcocks und den mutigen Produktionstricks der Band lassen auch diesen Song auf weiter Flur unvergleichlich dastehen.
Leider endet das Album nicht auf dem bis dahin gehaltenen Standard. Streets Of Fear und Lost Chances plätschern, ähnlich den Solo-Alben von Dave Brock, vergleichsweise uninspiriert dahin. Aber nicht nur das Songwriting ist hier deutlich schwächer ausgefallen. Da ist noch etwas, was fehlt. Bei genauem Hinhören fällt es auf: Streets Of Fear“ hat nur einen Drum-Computer zu bieten, und in Lost Chances kann ich Harvey Bainbridges Bass nicht lokalisieren. Hört man danach die als Bonus-Track beigegebene Single-B-Seite Transdimensional Man, wird deutlich, dass wirklich ein großer Teil der Faszination von “Sonic Attack“ auf dem phantastischen Spiel von Bainbridge/Griffin beruht. Hier ist alles wieder da, was das reguläre Album so besonders macht.
Bereits mit Gewohnheitsrecht erwartet man die Gesamtausstattung jeder Atomhenge-Reissue. Die Bonus-CD enthält neben eher für Sammler interessanten Demos und alternativen Versionen auch einige echte Schätze (z.B. die Extended Version von Living On A Knife Edge und Trans-Dimensional Man). Booklet und Soundqualität (Digitally Remastered) lassen kaum Wünsche offen. Um es kurz zu machen: “Sonic Attack“ ist ein Album der Superlative.