Klaus Schulze

La Vie Electronique 12

( English translation by Google Translation by Google )

CD-Review

Reviewdatum: 17.11.2012
Jahr: 2012
Stil: Electronica

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Redakteur(e):

Steffen Frahm


Klaus Schulze
La Vie Electronique 12, MIG-Music, 2012
Klaus SchulzeKeyboards, Electronics
Produziert von: Klaus D. Mueller Länge: 233 Min 26 Sek Medium: CD
CD 1
01. Picasso Geht Spazieren - First Movement08. Gezähmtes Feuer
02. The Valley Of Wild Flowers09. Consider The Lilies
03. Night Owls10. O Great Blind Horses
04. Einheimische Kentauren11. Roses of Shadow
05. Treibsand12. Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen
06. Flying Elephants
07. Creative Chaos
CD 2
01. Picasso Geht Spazieren - Second movement08. Die lebendigen Pflanzen
02. The Forest Of Dreams09. Geheimnis des Wassers
03. Picasso Geht Spazieren - Third Movement10. Je Suis Comme Je Suis
04. Der Wal In Wut12. The Fish Doesn't Know Water
05. Angora Love13. Ohne Schein der Anstrengung
06. Les Feuilles Mortes14. Vergebliche Delikatesse
07. Wilde Blumen15. Réel Et Surréel (Je Suis Comme Je Suis, pt. 2)
CD 3
01. The Music Box06. Wir sind sehr wenige
02. Awake Myx Sou07. Fire Is Water Falling
03. Höre die uralten Worte08. Wittgenstein!
04. O Che Sciagura09. Übrigens sterben immer die Anderen
05. Recht launisch10. And What About (The Music Box)

"Ja, es gibt auch ein paar gute Musik-Journalisten...und sogar Fans, die das zwar nicht hauptberuflich machen, die sich aber auskennen und zudem noch gekonnt äussern können", schreibt Klaus Schulzes Manager Klaus D. Mueller (kdm) in seinen liner notes zu diesem 3-CD-Set; und weiter: "[...] Doch leider sind die anderen viel lauter. So ein anderer sagte mir mal zur Musik von KS, als Entschuldigung, für sein verkorkstes Feature über Klaus: Ist doch sowieso alles nur Popmusik."
Auch wenn man Klaus Schulzes Arbeit mit so einem Flachpfeifensatz nun wahrlich nicht gerecht wird, klingt Muellers "gut-vs.-lauter"-Bestandsaufnahme etwas angefressen, wenn nicht gar ein Fitzelchen larmoyant. Ich persönlich stimme der Theorie, dass überall, wo man hinkommt, das Schlechte siegt, jederzeit zu, auch ungebeten, aber ein guter Musik-Journalist bin ich ja nicht (Ich bin schlicht gar kein Musik- Journalist!), Fan auch nicht - was soll ich tun?
Mich erstmal durch die Kraut- und Prog-Historie mampfen wie eine Raupe durch den Kohl? Über Schulzes Mitgliedschaft bei ASH RA TEMPEL und TANGERINE DREAM Auskunft geben? Über Terry Reilly, Steve Reich und Richard Wagner dozieren, die ihn beeinflusst haben? Erklären, was die "Berliner Schule" nochmal war und dass man ihre Spuren in Kifferhippie-Waldlichtungstanzmusiken wie Goa oder Trance entdecken kann?
Daraus wird nichts, denn ich mache das ja (s.o.!) nicht hauptberuflich. Und das wäre auch nicht nötig, denn die Summe der möglichen Umstände, unter denen einem alten Sack wie mir im Jahre 2012 erstmals im Leben eine KS-CD unterkommen kann, ist unendlich.
Möge also kdm aber auch jede/r andere, nicht zuletzt Klaus Schulze selbst mit dem leben können, was ich hier schreibe.

Das Material dieser Sammlung wurde erstmals 1993 in der auf 2000 Stück limitierten und natürlich ratzfatz ausverkauften "Silver Edition" veröffentlicht. Es besteht vor allem aus dem zweieinhalbstündigen, in 3 Sätze unterteilten Großwerk Picasso Geht Spazieren. Picture Music In Three Movements lautet ein früherer Untertitel, der sich wiederum auf Schulzes 4. Solo-Album "Picture Music" (1975) bezieht. Was genau Picture Music ist, hat sich mir nicht erschlossen. Ist es Programmmusik (3xm!)? Ich denke an "Pictures At An Exhibition" und an Picasso, da passt "Picture" natürlich ganz gut ins Selbige, aber: Nein. Absolute Musik ist es aber ebensowenig, kann es gar nicht sein, so wie es heisst. Es kommt mir vor wie Tonmalerei, also wie das, was sich im Graubereich zwischen Absoluter und Programmmusik bewegt. Und siehe da, der komplette Titel des 2. Werkes in diesem Set lautet: The Music Box - Tongemälde In Fis-Moll - aber dazu später.

Picasso geht Spazieren - Was gibt es zu hören? Jeder Satz ist in mehrere Parts unterteilt, die ineinander übergehen. Die einzelnen Sätze sind hinsichtlich ihrer grundlegenden Harmonien/Themen und gewisser Soundpräferenzen kohärent.
Vor allem im ersten Satz gibt es viel Meditationsmusik zu hören, zu der man nicht meditieren kann. Repetitiv aber letztlich nicht hypnotisch. Zu direktiv fürs Spirituelle. Will sagen: Sphärische Synthesizer- Flächen als ständiger Backdrop für eine Unmenge in der Atmosphäre verglühende Sounds: Tier- und Menschenlaute, Voice-Patches aus der Keyboard-Datenbank, tribal chants, Orchesterhits und natürlich sowieso allerhand elektronische Geräusche: Es zirpt, ZIRPT!, zischt, rumst und klirrt, wobei mich die Klirrgeräusche besonders beim über siebzehnminütigen Creative Chaos an die Signale der Ausserirdischen in "Contact" erinnern, diesen Reise-über-die-Grenzen-des-menschlichen-Geistes-Film mit Jodie Foster. Solche Assoziationen sind schnell bei der Hand. Diese Musik hat einen erzählenden Gestus. Sie ist ein Trip, und ich finde ihren Titel insofern eher nicht passend gewählt, als ihre Grundstimmung für einen Spaziergang entschieden zu drängend, zu unterschwellig fast bedrohlich ausfällt - selbst wenn da so ein rastloses Genie wie Picasso unterwegs ist.

Creative Chaos, naja...bisschen allgemeinplatzig, dieser Titel, und so geht's mir auf längere Sicht auch mit der Musik: Bei 12min.22sek. sägt ein flirrendes Sequenzer-Loop los, und man denkt auch gleich: "Jetzt geht's los!", aber bei 15min.23sec. hört es wieder auf. Wer solche Erwartungshaltungen aufbaut, hat die Dramaturgien handelsüblicher Popmusik noch an den Schuhen kleben, wie alten Hundekot, schon klar. Schulze will was Anderes, aber ich kann da nicht so recht mit. Mag auch daran liegen, daß ich die Klänge, mit denen er hier arbeitet, teilweise fies finde, vor allem die Drumsounds: Sie klingen nach Preset und geben der Sache manchmal etwas ungewollt Dilettantisches. Da gefällt mir die analoge Muffigkeit des erwähnten 38 Jahre alten "Picture Music" einfach besser.

Der dritte Satz von Picasso geht Spazieren ist am stärksten rhythmisiert, läuft aber auf ähnliche Weise ins Leere wie die ersten zwei Sätze. Dennoch: Das allgemeine Spannungsniveau ist hier am höchsten. Bei Ohne Schein der Anstrengung wird es mit metallischen, stupide achtelnden Percussionsounds sogar richtig nervig. Und nachdem der Opener Der Wal in Wut mit seinem aufgebrachten polyrhythmischen Gehämmer schon eine Spur gelegt hat, kommen gegen Ende, bei Vergebliche Delikatesse tatsächlich Walgesänge. Oioioi, das ist mir dann aber doch etwas zu esoterisch. Dafür ist das abschließende Réel Et Surréel mit seinen zart glitzernden Ambient-Schraffuren und der sich Zeit nehmenden, fragenden, tastenden Klarinette mein Lieblingstrack. Ihn kann ich mir am ehesten als Soundtrack für einen (bitte bildgewaltigen!) Film vorstellen, und tatsächlich sollten diese Aufnahmen ursprünglich genau das sein. Da die Produzenten aber nicht bezahlten, nahm sich Schulze zurück, was ihm gehörte.

Die dritte CD gehört, wie oben schon angedeutet, The Music Box, einem ursprünglich Meditation I betitelten Musikstück, das Schulze den Guttemplern schenkte. Was die wohl damit gemacht haben? Eine Organisationshymne scheint es ja nicht geworden zu sein. Man hört sofort, dass diese 12 Tracks im ca. gleichen Zeitfenster entstanden sind wie Picasso geht Spazieren. Es gibt Leitmotive bzw. -arrangements, eins mit entfernt an Miles Davis, eher noch an dekorativen, skandinavischen Wellness-Jazzpop erinnerndem Trompetensound, es gibt einen narrativen Fluß, es gibt Höhepunkte und Latenzphasen...Entschuldigung, dass ich das hier so lakonisch abhandele, aber wenn man mit Picasso 'ne Runde um den Pudding gemacht hat, ist The Music Box leider nur mehr vom selben. Den Titel wählte Schulze übrigens als Reminiszenz an Stan Laurels und Oliver Hardys legendären Klavierzerstörungsfilm, wozu die Musik aber für mein Empfinden nicht passt. Klingt einfach nicht wie ein Klavier, dass mehrere Male die Treppe runterbimmelt. "Not just KS believes that the two (and W.C. Fields) were true geniuses, they put their souls into their work", steht dazu im Booklet. Mit dem Begriff Genie bin ich immer sehr vorsichtig (heute erst 1x benutzt!), aber Klaus Schulze muss ein Besessener sein. Also auch einer, der seine Seele in seine Kunst steckt. Sonst würde er nicht schon seit Jahrzehnten solche Musik produzieren.
Schwer zu sagen, was das ist. Musik ohne Anfang und Ende? Vielleicht hilft es, an dieser Stelle die ausgeleierte Metapher vom Weg, der das Ziel ist, zu bemühen und zwar ganz unironisch; denn dann kommt man Klaus Schulzes Musik näher: Man muss sich einlassen, man muss die ganze Strecke mitgehen.
Man kann es natürlich auch lassen.
Respekt verdient es allemal.

Steffen Frahm, 13.11.2012

 

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