Titel |
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01. Long Tailed Winter Bird |
02. Find My Way |
03. Pretty Boys |
04. Woman And Wives |
05. Lavatory Lil |
06. Deep Deep Feeling |
07. Slidin' |
08. The Kiss Of Venus |
09. Seize The Day |
10. Deep Down |
11. Winter Bird / When Winter Comes |
Musiker | Instrument |
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Paul McCartney | All Voices and Instruments |
Mit diesem Album hat keiner so richtig gerechnet. Am wenigsten Sir Paul McCartney selbst. Aber natürlich war auch er im vergangenen Jahr im Lockdown gefangen und da hat er zu Hause etwas rumgewurschtelt, ein paar alte Ideen aufgegriffen, bisschen was aufgenommen, nur so zum Spaß. Und plötzlich, war ein neues Album fertig. Wie schon "McCartney" (1970) und "McCartney II" (1980) vollkommen allein eingespielt und produziert und am Ende - bzw. Beginn - eines Jahrzehnts stehend.
So wurde im Hause McCartney, welches in Sussex liegt, der Lockdown zum "Rockdown" (steht auch so auf der Platte) umfunktioniert und tagtäglich gebastelt. Für gewöhnlich bildeten Gitarre und Gesang, oder Klavier und Gesang, die Basis zu denen dann weitere Instrumente eingespielt wurden. Alles vom Multi-Instrumentalisten McCartney selbst. So etwas kann eigentlich nicht funktionieren. Wie soll da die Dynamik einer Band eingefangen werden? Da können nur solche Collagen wie bei Mike Oldfield herauskommen. Oder nicht? Nun, mit den beiden “McCartneys“ hat er schon bewiesen, dass er durchaus allein zurecht kommt und letztlich hat er auch das 1997er Album “Flaming Pie“ zunächst mal im Alleingang in die Wege geleitet. Auch wenn da dann noch einige Gäste ihren Senf dazugegeben haben.
Nun also wieder komplett Solo und das mündet zuerst in die rhythmische Klangspielerei Long Tailed Winter Bird, mit minimalem Gesang und basierend auf einem eingängigen Gitarren-Lick. Das setzt sich in Find My Way fort, allerdings klingt's dann schon eher nach fertigem Song, mit leichtem Tom Petty-Touch. Die Drums klingen mir ein bisschen zu schwachbrüstig, aber ansonsten harmoniert das ganz nett und hat stellenweise auch ein gewisse Rauheit. Diese Mixtur aus verschiedenen Stilmitteln ist aber typischer McCartney und hätte letztlich auch auf “McCartney II“ sein können. So wie Pretty Boys auf die meisten seiner Alben. Ausgehend von einem Thema auf der akustischen Gitarre entwickelt Paul die Nummer sachte weiter, ohne sich zu weit von Start zu entfernen. Auch seine gealterte Stimme hat immer noch ihre Faszination und ist für einen 78jährigen beachtlich frisch.
Ja, so langsam hat man sich eingehört und McCartney sich eingespielt. Dieses Gefühl überkommt mich bei Women And Wives. Melancholisch auf dem Klavierspiel aufgebaut, erinnert es entfernt an die späten Johnny Cash-Scheiben unter der Regie von Rick Rubin. Nicht nur, weil der Sänger hier recht wortreich agiert, sondern auch wegen dieses Untertones in der Stimme. Kommt wohl mit der Reife. Auf jeden Fall ein Song, der den Hörer länger begleiten wird.
Schon auf “New“ hatte McCartney bewiesen, dass er nichts von durchgehend zahnlosen Alterswerken hält und auch hier, auf Lavatory Lil, lässt er die Elektrische dröhnen und rockt dazu mit sich selbst im Chor. Absolut coole Groove-Rock-Nummer.
Hatte ich vorhin von “wortreich“ gesprochen? Deep Deep Feeling ist das reinste Hörspiel! Wie eh und je wechselt er gern innerhalb eines Stückes denn Rhythmus und das “Feeling“. Bringt neue Instrumente mit ein und baut den Song aus. Ist was zum Zuhören und erforschen, experimentell, aber hat seinen Reiz.Geht auch 8 ½ Minuten.
Slidin' geht dann wieder mehr in die Rockecke, mit stampfendem Rhythmus, ja, direkt Glam-Charakter, den man eher bei Leuten wie Alice Cooper vermuten würde. Mit The Kiss Of Venus folgt eine typischer kleiner Akustiksong aus Pauls Feder. Früher wurde aus so etwas Yesterday, Blackbird oder Eleanor Rigby. Das erwartet man heutzutage nicht mehr, insofern ist der Song okay.
Mit zu den Highlights gehört für mich Seize The Day. Schöne Pop-Nummer, die mit ihrem Sound gut ins Ohr geht, schön dynamisch aufgebaut ist und die die meisten Brit-Pop-Bands sehr gern geschrieben und aufgenommen hätten. Hut ab, Sir McCartney!
Mit dem rhythmischen Deep Down liefert er auch einen locker tanzbaren Groove-Song, der einen gefangen nimmt und sehr bald mitwippen lässt. Da muss ich mir erst wieder vergegenwärtigen, dass das hier einzeln eingespielt wurde. Klingt wirklich wie eine Band.
Winter Bird / When Winter Comes ist sozusagen die “Klammer“ auf der anderen Seite des Albums. Kehrt kurz zum Eingangs-Thema zurück und wird dann wieder zu einer Akustik-McCartney-Ohrwurm-Ballade. Wer – wie ich – praktisch lebenslang von dieser Stimme begleitet wurde, der findet auch hier zahlreiche Momente, die einen einfach beglücken. Wer weiß, vielleicht ist es das letzte Album, welches er aufgenommen hat? Wäre es so, wäre es sicher nicht sein schlechtestes.