Running Wild

Gates To Purgatory - Branded And Exiled - Under Jolly Roger - Port Royal - Death Or Glory - Blazon Stone - Pile Of Skulls - Black Hand Inn - Masquerade

( English translation by Google Translation by Google )

CD-Review

Reviewdatum: 20.08.2017
Jahr: 2017
Stil: Heavy Metal

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Redakteur(e):

Marc Langels


Running Wild
Gates To Purgatory - Branded And Exiled - Under Jolly Roger - Port Royal - Death Or Glory - Blazon Stone - Pile Of Skulls - Black Hand Inn - Masquerade, BMG, 2017
Rolf "Rock 'n' Rolf" KasparekGesang, Gitarre, Bass
weitere Musiker
Gerald "Preacher" WarneckeGitarre
Michael "Majk Moti" KupperGitarre
Axel "Morgan" KohlmorgenGitarre
Thilo HerrmannGitarre
Stephan BorissBass
Jens BeckerBass
Thomas "Bodo" SmuszynskiBass
Wolfgang "Hasche" HagemannSchlagzeug
Stefan SchwarzmannSchlagzeug
Iain FinlaySchlagzeug
Rüdiger "AC" DreffeinSchlagzeug
Jörg MichaelSchlagzeug
Produziert von: Diverse Länge: 643 Min 11 Sek Medium: CD
Gates To Purgatory (Dauer: 67:39)
01. Victim Of States Power09. Chains And Leather ("Rock From Hell")
02. Black Demon10. Adrian ("Rock From Hell")
03. Preacher11. Walpurgis Night (The Sign Of Women's Fight)(12'' Single B-Side)
04. Soldiers Of Hell12. Satan (12'' Single B-Side)
05. Diabolic Force13. Iron Heads ("Death Metal" Version)
06. Adrian S.O.S.14. Bones To Ashes ("Death Metal" Version)
07. Genghis Khan15. Soldiers Of Hell (1991 Re-Recorded Version)
08. Prisoner Of Our Time16. Prisoner Of Our Time (1991 Re-Recorded Version)
Branded And Exiled (Dauer: 57:52)
01. Branded And Exiled08. Chains And Leather
02. Gods Of Iron09. Branded And Exiled (1991 Re-Recorded Version)
03. Realm Of Shades10. Fight The Oppression (1991 Re-Recorded Version)
04. Mordor11. Marching To Die (1991 Re-Recorded Version)
05. Fight The Oppression12. Branded And Exiled (2003 Re-Recorded Version)
06. Evil Spirit13. Mordor (2003 Re-Recorded Version)
07. Marching To Die
Under Jolly Roger - Disc 1 (Dauer: 35:03)
01. Under Jolly Roger05. Raise Your Fist
02. War In The Gutter06. Land Of Ice
03. Raw Ride07. Diamonds Of The Black Chest
04. Beggar's Night08. Merciless Game
Under Jolly Roger - Disc 2 (Dauer: 35:59)
01. Under Jolly Roger (1991 Re-Recorded Version)05. Beggar's Night (1992 Alternative Version)
02. Raw Ride (1991 Re-Recorded Version)06. Apocalyptic Horsemen
03. Raise Your Fist (1991 Re-Recorded Version)07. Under Jolly Roger (2003 Re-Recorded Version)
04. Diamonds Of The Black Chest (1991 Re-Recorded Version)08. Raise Your Fist (2003 Re-Recorded Version)
Port Royal (Dauer: 58:17)
01. Intro08. Blown To Kingdom Come
02. Port Royal09. Warchild
03. Raging Fire10. Mutiny
04. Into The Arena11. Calico Jack
05. Uaschitschun12. Uaschitschun (1992 Re-Recorded Version)
06. Final Gates13. Port Royal (1992 Re-Recorded Version)
07. Conquistadores14. Conquistadores (1992 Re-Recorded Version)
Death Or Glory - Disc 1 (Dauer: 54:15)
01. Riding The Storm07. Bad To The Bone
02. Renegade08. Tortuga Bay
03. Evilution09. Death Or Glory
04. Running Blood10. Battle Of Waterloo
05. Highland Glory (The Eternal Fight)11. March On
06. Marooned
Death Or Glory - Disc 2 (Dauer: 29:36)
01. Wild Animal04. Chains And Leather '90
02. Tear Down The Walls05. Riding The Storm (2003 Re-Worked Version)
03. Störtebeker06. Bad To The Bone (2003 Re-Worked Version)
Blazon Stone (Dauer: 72:21)
01. Blazon Stone09. Bloody Red Rose
02. Lonewolf10. Straight To Hell
03. Slavery11. Heads Or Tails
04. Fire & Ice12. Billy The Kid (Bonus Track)
05. Little Big Horn13. Genocide (Bonus Track)
06. Over The Rainbow14. Blazon Stone (2003 Re-Worked Version)
07. White Masque15. Little Big Horn (2003 Re-Worked Version)
08. Rolling Wheels
Pile Of Skulls - Disc 1 (Dauer: 58:15)
01. Chamber Of Lies07. Pile Of Skulls
02. Whirlwind08. Lead Or Gold
03. Sinister Eyes09. White Buffalo
04. Black Wings Of Death10. Jennings' Revenge
05. Fistful Of Dynamite11. Treasure Island
06. Roaring Thunder
Pile Of Skulls - Disc 2 (Dauer: 35:13)
01. Beggar's Night (1992 Alternative Version)04. Uaschitschun (1992 Alternative Version)
02. Hanged, Drawn And Quartered05. Whirlwind (2003 Re-Worked Version)
03. Win Or Be Drowned06. Treasure Island (2003 Re-Worked Version)
Black Hand Inn (Dauer: 74:28)
01. The Curse08. Freewind Rider
02. Black Hand Inn09. Powder And Iron
03. Mr. Deadhead10. Dragonmen
04. Soulless11. Genesis (The Making And The Fall Of Men)
05. The Privateer12. Dancing On A Minefield (Bonus Track)
06. Fight The Fire Of Hate13. Poisoned Blood (Bonus Track)
07. The Phantom Of Black Hand Inn
Masquerade (Dauer: 64:13)
01. The Contract/The Crypts Of Hades08. Metalhead
02. Masquerade09. Soleil Royal
03. Demonized10. Men In Black
04. Black Soul11. Underworld
05. Lions Of The Sea12. Lions Of The Sea (2003 Re-Worked Version)
06. Rebel At Heart13. Black Soul (2003 Re-Worked Version)
07. Wheel Of Doom

Die Geschichte von RUNNING WILD geht zurück bis ins Jahr 1976, als Rolf genannt “Rock ‘n‘ Rolf“ Kasparek seine Band GRANITE HEARTS gründete. Nach einer Umbesetzung folgte recht rasch dann auch der Namenswechsel, der von einem JUDAS PRIEST-Song beeinflusst wurde. Zusammen mit den anderen Bands des Labels Noise wie GRAVE DIGGER, HELLOWEEN und KREATOR waren RUNNING WILD so etwas wie die Keimzelle der ersten Welle des deutschen Heavy Metal. In vielerlei Hinsicht waren Kasparek & Co auch die Vorreiter. So waren RUNNING WILD die erste der genannte Bands, die ein Album auf den Markt warfen.

Dieses war “Gates To Purgatory“, mit dem die Band dann im Untergrund auch für eine Menge Furore sorgen konnte. Musikalisch wurden RUNNING WILD dabei natürlich von Bands der New Wave of British Heavy Metal beeinflusst. Dabei schlug aber auch die etwas düstere Seite mancher Gruppen wie etwa BLACK SABBATH oder auch VENOM zumindest in den Texten und Symboliken durchaus deutlich zu Buche. Insofern hing RUNNING WILD zu Beginn ihrer Karriere der Ruf an, sie seien Satanisten. Davon sollten sich RUNNING WILD auf den Folgealben doch recht schnell befreien, bevor sie dann 1987 auf “Under Jolly Roger“ endgültig ihre konzeptuelle Bestimmung fanden.

Aber zurück zu “Gates To Purgatory“. Hier wird noch sehr rauer Heavy Metal geboten, der aber schon über die später noch deutlich zu Tage tretenden hymnischen Chöre verfügt und mit einigen bereits sehr griffigen Riffs auftrumpft. Am besten kann man diese Faktoren direkt auf dem zweiten Song des Albums Black Demon aber auch in der Folge bei Prisoner Of Our Time nachhören. Soldiers Of Hell offenbart hingegen einen frühen IRON MAIDEN-Einfluss. Ähnliches gilt auch für Genghis Khan, dabei handelt es sich aber nicht um ein Cover des MAIDEN-Songs, sondern um puren Zufall.

Auf dieser so genannten “Deluxe Expanded Edition“ sind alle zehn Stücke, die damals aufgenommen wurden, auf dem Album enthalten. Denn aus finanziellen Gründen musste die Band damals acht Songs für das Mastering auswählen, die beiden übriggebliebenen Stücke Walpurgis Night und Satan erschienen jedoch kurze Zeit später der EP “Victims Of States Power“, so dass es sich hier nicht um vollkommen unbekannte Stücke handelt. Aber es ist dennoch schön, das Album so zu hören, wie es damals wohl ursprünglich beabsichtigt war. Zumal die beiden Songs nicht schlechter sind als das restliche Material.

Außerdem hat man aus den Archiven noch die Tracks ausgegraben, die den Weg für die Platte ebneten, nämlich die beiden Demo-Songs Chains & Leather und Adrian S.O.S., die auf dem Sampler “Rock From Hell“ enthalten waren sowie die zwei Stücke von dem berühmten “Death Metal“-Sampler (Iron Heads und Bones To Ashes), auf dem auch noch Bands wie HELLHAMMER (die Vorgänger von CELTIC FROST), HELLOWEEN und DARK AVENGER vertreten waren. Zudem gibt es noch zwei Neu-Einspielungen der Album-Tracks Soldiers Of Hell und Prisoners Of Our Time aus dem Jahre 1991, die natürlich deutlich druckvoller und professioneller klingen, als die Original-Aufnahmen.

Denn die Album-Aufnahmen fanden in lediglich 16 Tagen statt - und diesen Zeitdruck merkt man dem Album natürlich an. Der Sound ist sehr roh. Einige unrunde Passagen wurden deshalb wohl auch beibehalten, die man ansonsten durch weitere Takes ausgebessert hätte. Aber all das trägt auch zum Charme dieser Aufnahme bei. Denn Perfektion wäre dem Endergebnis vielleicht sogar eher abträglich gewesen, denn es ging ja gerade in den Anfangstagen darum, die rohe Energie und das Wilde in der Metal-Musik einzufangen. Und gerade dieses Unterfangen ist hier der Band und Produzent Horst Müller prima gelungen.

Kein Wunder also, dass die Band kaum ein Jahr später wieder zusammen mit Müller ins Studio zog, um den Nachfolger, “Branded And Exiled“, einzuspielen. Die positiven Resonanzen auf das Debüt hatten die Band und insbesondere Frontmann Kasparek in ihrer Herangehensweise und Ausrichtung zunächst einmal bestärkt. Und so legten RUNNING WILD mit dem Titeltrack, Gods Of Iron, Realm Of Shades, Fight The Oppression, Evil Spirit und Marching To Die zeigen die Band weiter von ihrer rauen und wilden Seite, aber etwas geschliffener im Songwriting und insbesondere beim Gesang spürbar verbessert. Die Texte auf dem Album waren wieder mysthisch (im Falle von Mordor natürlich von der “Herr Der Ringe“-Saga beeinflusst – noch vor BLIND GUARDIAN) und von okkulten Themen dominiert, was der Band in manchen Kreisen einen Ruf als „Satanisten“ eintrug, was aber nicht der Fall war, wie Kasparek klarstellt. Es ging lediglich um das Image und war nur Schein. Er vergleicht es in den Liner Notes zu dem Album damit, dass Christopher Lee die Rolle des Grafen Dracula ja auch nur spielt.

Das Problem bei der Produktion von “Branded And Exiled“ war, dass der zweite Gitarrist Gerald Warnecke die Band kurz vor den Aufnahmen verlassen hatte, so dass zum einen die alleinige Verantwortung für das Songwriting auf den Schultern von Kasparek lag und er zudem nahezu alle Gitarrenspuren im Studio selber einspielen musste, aber Rock ‘n‘ Rolf meisterte auch diese Herausforderungen. Der „Neue“ an der Gitarre, Michael Kupper – besser bekannt als Majk Moti -, ist daher auch noch bei drei Soli auf der Scheibe zu hören (bei den Tracks Gods Of Iron, Marching To Die sowie der Neu-Einspielung von Chains & Leather). Aber auch ohne zusätzlichen Songwriter gelang RUNNING WILD hier ein erneut starkes Album, das sich sogar etwas besser verkaufen konnte als der Erstling (über 205.000 Mal während “Gates To Purgatory“ bei etwas über 235.000 Einheiten geblieben war).

Für diese Wiederveröffentlichung haben die Produzenten einige Neu-Einspielungen von fünf Album-Tracks ausgewählt. Hier sind enthalten die Re-Recordings von Branded And Exiled, Fight The Oppression sowie Marching To Die aus dem Jahr 1991 sowie die Aufnahmen von Branded And Exiled und Mordor von 2003. In beiden Fällen sind die klanglichen Unterschiede natürlich deutlich, zudem klingt auch Kaspareks Stimme jeweils deutlich stärker. Wobei es etwas überraschend ist, dass er bei dem 1991er Mix deutlich besser klingt als bei der 2003er Version. Aber Fans der Band dürften an den Neu-Aufnahmen sicherlich ihre Freude haben, so sie die Werke nicht ohnehin schon im ihrem Besitz haben. Aber “Branded And Exiled“ ist ein definitiver Fortschritt in der Karriere der Band und ein weiteres Kleinod der frühen Phase des Deutschen Heavy Metal.

Anschließend ereignete sich ein fast schon traumatisches Erlebnis in der Geschichte von RUNNING WILD. Die Band wurde von ihrem Label auf eine Nordamerika-Tournee mit den Label-Kollegen CELTIC FROST und VOIVOD geschickt, die für die Band vorsichtig ausgedrückt miserable lief. In Europa waren sie schon eine recht erfolgreiche Band und ihren Mitstreitern sicherlich schon ein Stück voraus, aber in den USA wollten die Fans nur den technischen Thrash der Kanadier VOIVOD beziehungsweise das musikalische Inferno der Schweizer CELTIC FROST hören. Sie drehten den Hamburgern bei deren Auftritten im besten Fall den Rücken zu, häufiger jedoch wurden Kasparek & Co. jedoch angepöbelt und ausgebuht. Daher war die Band nicht böse, als Noise Records nach nur acht Auftritten die Band lieber wieder nach Hause beorderte. Dort stand eine Neu-Ausrichtung an. Diese war nicht nur für die Band folgenreich, sondern auch für die Heavy Metal-Szene als Ganzes, denn ein neues Sub-Genre wurde geschaffen: der so genannte Pirate Metal. Die Band durchlief eine General-Überholung, was das Auftreten aber auch die Themen ihrer Texte anbetraf.

Die erste Manifestation war das dritte RUNNING WILD-Album “Under Jolly Roger“. Das Cover zeigt ein Piratenschiff unter dunklen Wolken – eventuell eine Anspielung auf die schlechten Erfahrungen, die hinter ihnen lagen -, aber mit vollen Segeln und entsprechend voller Fahrt voraus. Auf dem Segel prangt das Maskottchen der Band, Adrian, in typischer Piraten-Montur mit Kopftuch und Augenklappe. Mit einem klar definierten Ziel und dem unbändigen Willen, es allen Kritikern zeigen zu wollen, stachen RUNNING WILD in die raue See und gingen auf erfolgreichen Beutezug.

Denn “Under Jolly Roger“ konnte den Erfolg des Vorgängers bestätigen und setzte wieder eine Viertelmillion Alben ab. Kein Wunder, so warf das Album doch mit dem eröffnenden Titelsong, War In The Gutter, Raise Your Fist (bei dem man aus heutiger Sicht unweigerlich an POWERWOLF erinnert wird und sich ein „Evangelist“ an den Refrain denken möchte) Land Of Ice und Diamonds Of The Black Chest gleich eine ganze Reihe sehr starker Metal-Nummern ab. Auffällig ist dabei, dass die Refrains noch mehr Mitsing-Potenzial haben als auf den beiden Vorgänger-Alben. Und auch der Gesang von Kasparek zeigte sich auch dank eines Gesangslehrers stark verbessert, zudem konnte er eine Menge seiner angestauten Frustration hier verarbeiten – und das kam der Performance am Mikro hörbar zu Gute.

Dennoch geht der Musik das raue Element, das die Band ja auf den ersten beiden Scheiben auszeichnete, nicht verloren. Und dennoch merkte man der Band auch in diesem Bereich deutliche Fortschritte an. Ein Stück wie Beggar’s Night wäre wohl zu Zeiten von “Gates To Purgatory“ oder “Branded And Exiled“ so noch nicht denkbar gewesen, aber mittlerweile war die Band bereit auch in dieser Hinsicht den nächsten Schritt zu machen. Und so präsentierten die erneut acht Stücke auf “Under Jolly Roger“ die Band von ihrer damals stärksten Seite und so etablierte “Under Jolly Roger“ RUNNING WILD als eine der erfolgreichsten deutschen Metal-Bands – mit neuem Look und kleineren Veränderungen im Sound, aber immer noch mit dem alten Feuer und der gleichen hohen Qualität.

Aus der damaligen Zeit scheinen wieder nicht allzu viele Überbleibsel in den Archiven vorhanden zu sein, so dass es sich bei den meisten der Bonus-Stücke erneut um Neu-Einspielungen der Album-Tracks aus späteren Jahren handelt. Einzig die Nummer Apocalyptic Horsemen ist ein wirklicher Bonus, der aber auch schon 2005 auf dem Album “Rogues En Vogue“ erschien. Das Lied ist eine typische RUNNING WILD-Nummer mit viel Power und guter Hookline. Die weiteren Lieder reihen sich in die bisherigen Neu-Aufnahmen der jeweiligen Klassiker ein und runden die Neu-Auflage ab. Warum diese auf zwei CDs verteilt werden musste kann ich mir nicht erklären, denn rein zeitlich hätte das durchaus auch auf eine Silber-Scheibe gepasst, aber so hat man wie auch bei allen anderen Scheiben ein optisch sehr schick aufgemachtes Digipak.

Zu der Zeit von “Under Jolly Roger“ zeigten sich allerdings erste Risse im Band-Gefüge. So spielte Kasparek neben der Gitarre auch die Bass-Spuren für das Album selber ein, zudem wurde nach einer Deutschland-Tournee als Support für die Glam Metal-Superstars MÖTLEY CRÜE deutlich, dass Bassist Stephan Boris und Schlagzeuger Wolfgang Hagemann eine solche, melodiösere Ausrichtung des Band-Sounds und auch des Looks anstrebten, während Kasparek und Kupper die eingeschlagene Richtung auch auf dem Nachfolger weitergehen wollten. Also trennte sich die Band von der Rhythmus-Sektion und heuerte mit Stefan Schwarzmann (Schlagzeug, später unter anderem auch noch bei ACCEPT, U.D.O. und KROKUS aktiv) und Jens Becker (Bass, der anschließend bei GRAVE DIGGER einstieg) neue Musiker an, die ein anderes spielerisches Niveau an den Tag legten als ihre Vorgänger.

Gemeinsam ging es dann ins Studio, um das vierte RUNNING WILD-Album, “Port Royal“, einzuspielen. Der zweite Streifzug durch die Piraten-Thematik zeigte, wie sich die Band noch weiter in diese Geschichte vertieft hatte, sich aber auch für textliche Inspirationen abseits des Genres offen zeigte. Das Album etablierte RUNNING WILD und den so genannten Pirate Metal in der Szene und festigte den Ruf des Quartetts als Repräsentationsfiguren dieses Subgenres. “Port Royal“ war ein weltweiter Erfolg für die Band und verkaufte sich insgesamt mehr als zwei Millionen Mal.

Natürlich kann man sich “Port Royal“ und den Erfolg des Albums nicht ohne den großen Hit Conquistadores vorstellen, der bis heute eines der Highlights bei jedem Auftritt der Band ist. Der treibende Track mit den galoppierenden Gitarren-Parts und seinen eingängigen Gesangsmelodien zeigt exemplarisch, die gestiegenen Fähigkeiten der Band als Songwriter und Instrumentalisten (ebenso wie das vorhergehende Instrumental Final Gates, das hauptsächlich von Bass und Schlagzeug getragen wird) und damit eine Seite der Band, die noch in der Vorgänger-Besetzung nicht möglich gewesen wäre. Mit dem dazugehörigen Video erreichte die Band auch regelmäßige Einsätze bei “MTV’s Headbanger’s Ball“, was der Popularität der Gruppe auch einen gehörigen Schub verpasste.

Aber auch den anderen Stücken merkt man einen neuen Schub an, der sicherlich auch mit der personellen Veränderung zu tun hatte. Der Titel-Song, Raging Fire, Uaschitschun, Warchild, Mutiny sowie das abschließende Calico Jack zeigen die Band deutlich stärker als auf den bisherigen Werken. Dabei stechen insbesondere Port Royal und Warchild hervor, die durchaus Parallelen im Songwriting zu einer weiteren großen Band der New Wave of British Heavy Metal ziehen lassen, nämlich IRON MAIDEN. Hier scheint sich Kasparek was die Strukturen, die doppelläufigen gitarren-Parts, die Rhythmus-Arbeit aber auch die Erzähl-Struktur und Melodie-Führung seiner Lyrics betrifft eine Menge „abgeschaut“ zu haben.

Einzig der Sound der Aufnahme ist ein kleines wenig zu „zahm“ ausgefallen und lässt den rauen Charme der Vorgänger vermissen. Insbesondere die Vocals von Rock ‘n‘ Rolf gehen aus meiner Sicht zu sehr im Mix unter, etwas was auch die remasterte Version nicht beheben kann. Möglicherweise kann das auch mit den Stimmproblemen zu tun gehabt haben, die Kasparek damals durchmachte und die er erst mit der Hilfe eines Gesangslehrers beheben konnte. Insofern sind hier die Neu-Aufnahmen der drei Bonus-Tracks Uaschitschun (in einer alternativen Version), Port Royal und natürlich Conquistadores aus dem Jahre 1992 schon etwas besser, wenn auch die Vokal-Arbeit immer noch ein wenig zu sehr in der Musik untergeht. Aber “Port Royal“ gehört definitiv zu den „must-haves“ aus der RUNNING WILD-Diskographie.

In dieser Phase der Band-Karriere schien die Gruppe nahezu unaufhaltsam, denn qualitativ legten RUNNING WILD ein starkes Album nach dem nächsten vor. Allerdings kam es zu immer stärkeren internen Querelen, die ja vor “Port Royal“ schon zum Abschied von der Rhythmus-Sektion geführt hatten – und auch der neue Drummer Stefan Schwarzmann blieb nicht lange an Bord der Kogge, sondern schloss sich der Solo-Band von Udo Dirkschneider an. Sein Nachfolger, der Brite Iain Finlay, war nicht nur musikalisch top sondern auch eine große Hilfe für Kasparek beim Schreiben der Lyrics für die nächste Scheibe, “Death Or Glory“.

Das fünfte Studio-Album der Band ist auch ihr bislang erfolgreichstes. Unterstützt von dem „Live“-Video zu Bad To The Bone (das unterstützt von knapp 9.000 Fans in der Düsseldorfer Philipshalle aufgenommen wurde) schaffte es das Album in den deutschen Plattencharts bis auf Platz 45, was die erste Chartsnotierung für RUNNING WILD. Zudem wurde “Death Or Glory“ vom Rock Hard-Magazin in die Liste der 500 besten Rock- und Metal-Alben aller Zeiten aufgenommen. Das lag auch daran, dass der Band erneut eine Qualitätssteigerung gelungen war. Auch das Songwriting war auf dem neuen Album noch einmal anspruchsvoller ausgefallen, inklusive längerer instrumentaler Passagen, stimmiger Arrangements sowie der gewohnt eingängigen Hooks – zusammen ergab es eine sehr massentaugliche Metal-Mischung.

Diese brachte dann auch eine ganze Reihe Band-Klassiker hervor, die auch heute noch bei den Auftritten für euphorische Reaktionen sorgen. Das sind neben Bad To The Bone noch Riding The Storm, Renegade, Running Blood, Death Or Glory, March On und natürlich Tortuga Bay. Aber auch ein etwas epischeres Stück wie The Battle Of Waterloo konnte vollauf überzeugen. Zudem zeigte sich die Produktion ebenso verbessert, wie es Kasparek bei seinem Einsatz am Mikrofon durch die Arbeit mit einem Gesangslehrer ebenfalls gelungen war. Vielleicht auch dadurch bedingt, traute sich die Band, den Vocals einen präsenteren Platz im Mix einzuräumen.

Auf der beiliegenden Bonus CD ist die damals kurz nach dem Album erschienene “Wild Animal“-EP von 1990 mit dem sehr starken Titel-Song aber insbesondere auch Störtebeker sowie das gleichfalls sehr gute Tear Down The Walls hätten genauso gut auf “Death Or Glory“ gepasst. So sind sie ebenso wie die Neu-Aufnahme von Chains And Leather und die überarbeiteten Versionen von Riding The Storm sowie Bad To The Bone wirklich gute Gründe, sich dieses Doppel-CD-Paket ins heimische Regal zu stellen.

Nach den Aufnahmen zur EP stellten sich jedoch erneut Probleme im Band-Line-Up ein, die dazu führten, dass sowohl Schlagzeuger Iain Finlay als auch der langjährige zweite Gitarrist, Majk Moti, die Gruppe verlassen mussten. Auf dem Drum-Hocker nahm der langjährige Roadie, Rüdiger Dreffein – genannt „AC“ – Platz, während Band-Chef Kasparek im Studio die gesamten Gitarren einspielte (etwas, was er ja früher schon einmal gemacht hatte) für das mittlerweile sechste Werk der Band, “Blazon Stone“. Der neue Gitarrist, Axel Morgan, ist zwar schon als Band-Mitglied aufgeführt, da er aber für die Aufnahmen zu kurzfristig zur Band stieß, konzentrierte er sich darauf, das Material für die anstehende Tournee zu lernen.

So blieb es erneut Rock ‘n‘ Rolf überlassen, die Band in die richtige Richtung zu führen. Denn auch wenn Bassist Jens Becker und AC ein paar Ideen beisteuerten, war es laut dem Band-Boss doch an ihm, diese auszuarbeiten. Dazu übernahm Kasparek auch zum ersten Mal die Rolle als Produzent, so dass der Band-Chef noch mehr Entscheidungsgewalt darüber hatte, in welche Richtung der Sound der Band nun gehen sollte. Aber es war auch eine zusätzliche Arbeitsbelastung, die Kasparek wie auch all die anderen Aufgaben (Songwriting, Texte, Arrangements, Gitarrenspuren einspielen) souverän meisterte. Und so darf man davon ausgehen, dass man auf “Blazon Stone“ genau den Sound zu hören bekommt, der Rock ‘n‘ Rolf für seine Band vorschwebte.

Thematisch führte der Weg der Band dieses Mal weg von den Piraten-Geschichten und streifte tendenziell eher mal den Wilden Westen. Dieser wurde zumindest mit Little Big Horn und Billy The Kid thematisiert. Das einzige Lied, das mit dem Meer zu tun hatte war Slavery und dabei ging es darum, wie die britische Navy ihre Soldaten auf den Schiffen behandelte. Und auch Bloody Red Rose hat einen britischen Bezug, behandelt der Text doch die berühmten Rosen-Kriege zwischen den Häusern Lancaster und York. Des Weiteren gab es ein Lied, das der Road Crew gewidmet war (Rolling Wheels) und ein Song, der sich mit der Problematik von Straßenkämpfen auseinandersetzte (Fire And Ice).

Musikalisch setzte die Band da an, wo sie bei “Death Or Glory“ sowie der EP “Wild Animal“ aufgehört hatte. Kasparek hatte den perfekten Sound und die passende Art und Weise für das Songwriting gefunden. Das soll nicht bedeuten, dass RUNNING WILD sich darauf verlegten, sich selber zu plagiieren, aber der Klang war eindeutig der Band zuzuordnen und das Talent für eingängige Hooklines konnte man ihnen ja auch nicht absprechen, davon hatte auch dieses Album wieder einmal mehr als genug zu bieten. So entwickelte sich “Blazon Stone“ verständlicherweise zu einem der Höhepunkte in der RUNNING WILD-Diskographie – etwas, was sich auch in den weiter hohen Verkaufszahlen niederschlug. Und dass sich Rock ‘n‘ Rolf und Co. auch gut als Tribute-Band machen würden, beweisen sie mit einer sehr gelungenen Version des THIN LIZZY-Klassikers Genocide, die damals auf der B-Seite der Single Little Big Horn erschien und hier natürlich auch vertreten ist. Ebenso wie die überarbeiteten Versionen des Titeltracks und der Single.

In dieser Zeit schien es so, als könne nichts RUNNING WILD stoppen. Noch nicht einmal interne Querelen. Denn nach der Tour zu dem wieder erfolgreichen “Blazon Stone“-Album sprachen sich Bassist Jens Becker und der ja vor kurzem erst eingestiegene Schlagzeuger AC dafür aus, dass sich die Band doch in eine „erwachsenere“ und kommerziell aussichtsreichere musikalische Richtung entwickeln sollte. Nach Aussage von Kasparek schwebte den Beiden wohl etwas in Richtung von VAN HALEN oder gar BON JOVI vor. Das war etwas, was sowohl der Band-Boss als auch der Mann an der zweiten Gitarre, Axel Morgan, strikt ablehnten – sie wollten die bisherige Richtung konsequent weiter verfolgen. Also suchten sie eine neue Rhythmusmannschaft. Dabei wurde sie zur Hälfte in der eigenen Vergangenheit fündig, denn Stefan Schwarzmann kehrte zurück und brachte von der gerade im Pausen-Modus befindlichen U.D.O.-Band Bassist Thomas Smuszynski – genannt „Bodo“ – mit.

Zusammen stürzte man sich also in die Arbeit an “Pile Of Skulls“. Das siebte Album der Band sollte die Rückkehr zur Piraten-Thematik darstellen, die ja beim Vorgänger komplett außen vor geblieben war (siehe ein paar Abschnitte weiter oben). Aber dies war ja nur ein Teil der Geschichte, denn Kasparek beschäftigte sich auch mit Themen wie Korruption und Machtmissbrauch, denn wie schon in der Vergangenheit wollte er nicht, dass RUNNING WILD als eine rein monothematische Band wahrgenommen werden. Rein instrumental machten sich die Veränderungen auch gleich bemerkbar, denn während Becker einen sehr verschnörkelten Stil am Bass mit vielen Figuren bevorzugte, da stand „Bodo“ eher für das bodenständige Spiel mit viel Power. Und Schwarzmann brachte wieder verstärkt die Double-Bass-Attacken zum Einsatz, die er ja auch schon bei seinem ersten RUNNING WILD-Engagement gezeigt hatte.

Aber auch kompositorisch blieb die Band nicht stehen, so wie sie es eigentlich immer gehalten hatte. Die elf Songs auf “Pile Of Skulls“ zeigten eine durchaus erwachsene und selbstbewusste Metal-Band, die sich ihrer Stärken bewusst war. Nach dem fast schon BLIND GUARDIAN-ähnlichen Intro Chamber Of Lies steigt die Band fast schon gewohnt stark und wie ein Whirlwind ein. Die nahezu alleinige Last des Songwritings lag wieder auf den Schultern von Kasparek, dem Ideen für die eingängigen Metal-Hymnen zu dieser Zeit gar nicht auszugehen schienen. Und so liefern RUNNING WILD hier mit Stücken wie Sinister Eyes, Black Wings Of Death, Fistful Of Dynamite, Pile Of Skulls, Jenning’s Revenge und dem abschließenden Treasure Island erneut Qualitäts-Metal für das verwöhnte Hörer-Volk ab. Kein Wunder also auch, dass die Band einige davon immer wieder gerne in ihre Live-Setlist aufnimmt.

Für diese “Deluxe Expanded Edition“ haben die Verantwortlichen sechs Songs zusammengetragen. Dabei handelt es sich erneut um jeweils zwei neu aufgenommene und überarbeitete Versionen von bekannten Songs (hier sind das Beggar’s Night, Uatschischun, Whirlwind und Treasure Island. Aber da diese den meisten Fans ja bekannt sein dürften sind wirklich interessant die beiden Lieder Hanged, Drawn & Quartered (aus der Feder von Morgan) sowie Win Or Be Drowned. Und insbesondere die erste Nummer ist im Vergleich insbesondere zu den Stücken von jüngeren Werken wie etwa “Resilient“ einfach sehr stark. Es war definitiv die goldene Zeit der Band, nicht nur was die Absatzzahlen sondern auch was Kompositionen betraf. So mühelos schüttelte die Band hier einen Klassiker nach dem nächsten aus dem Handgelenk und darüber hinaus eben noch einige sehr starke Lieder, die damals gar keine Berücksichtigung fanden.

Allerdings sollte sich anschließend an “Pile Of Skulls“ ein leichter Knick in der Popularität von RUNNING WILD einstellen, ebenso wie bei zahlreichen anderen Heavy Metal-Bands, denn die 1990er Jahre hatten begonnen und der musikalische Zeitgeist veränderte sich in Windeseile. Und natürlich schaffte es auch die Piraten-Kogge nicht, sich diesen äußeren Einflüssen zu entziehen. Selbstverständlich nicht auf der musikalischen oder inhaltlichen Ebene, sondern was die Absatzzahlen ihrer Alben betraf. War es bis zu “Blazon Stone“ und “Pile Of Skulls“ stetig bergauf gegangen mit den Verkäufen und der Anhängerschaft von RUNNING WILD, so dass sie immer größere Venues für ihre Konzerte buchen konnten, so setzte mit dem siebten Album ein leichter Abwärtstrend bei den Verkäufen ein. Metal war dabei, seinen Coolness-Faktor zu verlieren – und zwar rapide.

Aber davon ließen sich RUNNING WILD nicht weiter beeindrucken. Sie hielten an ihrem eingeschlagenen Weg fest. Allerdings standen zunächst einmal ein paar personelle Wechsel an. Stefan Schwarzmann wurde verletzungsbedingt durch Jörg Michael (ersetzt und Axel Morgan musste seine Position an der zweiten Gitarre für Thilo Hermann (unter anderem auch bei STRATOVARIUS aktiv) zuvor bei RISK und FAITHFUL BREATH) freimachen. Damit wurde immer mehr klar, dass es sich bei RUNNING WILD um Rolf Kasparek und Musiker handelte (falls es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgefallen war, beim Verschleiß seiner Mitstreiter konnte sich Rock ‘n‘ Rolf zu dieser Zeit sogar mit Ritchie Blackmore zu dessen RAINBOW-Zeiten messen). Aber der Chef wusste eben, was gut war.

Und er hatte eine genaue Idee, wie er das achte Studio-Album anlegen wollte. Die Szenerie sollte die Piraten-Spelunke “Black Hand Inn“ sein, in der ein Piraten-Kapitän seine Geschichten erzählt. Diese betreffen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Dabei übertraf sich Kasparek nicht nur im Story-Telling sondern auch bei den Kompositionen, zumindest mal bei einer: Genesis (The Making And The Fall Of Man) ist ein 15-minütiges Epos, für das Rolf fast 18 Monate benötigte, um es fertigzustellen. Allerdings lohnte sich die investierte Arbeit, denn der Song gehört nach wie vor zum Besten, was RUNNING WILD jemals auf Band, Scheibe oder Festplatte gebannt haben.

Aber daneben hatte das Album auch wieder die gewohnten hochklassigen Speed Metal-Attacken wie den Titel-Song, die Single-Auskopplung The Privateer, das immer wieder hochaktuelle Fight The Fire Of Hate sowie The Phantom Of Black Hand Hill oder Powder & Iron. Insgesamt betrachtet ist “Black Hand Inn“ das vielleicht rundeste und somit beste Album der Band-Geschichte. Hier stimmte vom Sound – für den wieder Kasparek persönlich verantwortlich war, über das Songwriting bis hin zu den Texten wirklich alles. Der neue Mann an der Gitarre zeigte bei einigen Soli, was er so drauf hatte und führte sich gleich gut ein.

Bei den Bonus-Titeln handelt es sich dieses Mal um zwei damals nicht berücksichtigte Nummern, Dancing On A Minefield und Poisoned Blood. Beide gehören in die Kategorie „gut aber nicht großartig“. Wie schon weiter oben erwähnt, hätten solche Songs sicher das eine oder andere spätere Album der Band sicherlich bereichert, aber wenn man sich “Black Hand Inn“ anhört, dann weiß man, warum diese Songs hier nicht zum Zuge kamen, da waren die anderen Kompositionen einfach ein Tick zwingender und stärker. Nichts desto trotz sind es zwei gute RUNNING WILD-Songs, die den Fans sicherlich gut gefallen werden und die diese “Expanded Edition“ schön abrunden.

Nach der Tournee zu “Black Hand Inn“ kam die Band zum ersten Mal seit vielen Jahren und Alben wieder in derselben Besetzung zusammen, um das nächste Werk in Angriff zu nehmen. Das lag nach Aussage von Kasparek daran, dass sich die drei anderen Musiker damit zufrieden gaben „angestellte Musiker“ zu sein und auch als solche bezahlt zu werden. Dies ermöglichte Kasparek, RUNNING WILD rein nach seinen Vorstellungen zu führen, was das Songwriting, den Sound, das Image betraf (etwas was er ja schon fast die ganze Zeit tat, dies aber eben häufig gegen Widerstände erstreiten musste). Und so gingen die Vorarbeiten zu “Masquerade“ schnell und ohne Probleme über die Bühne.

Das neunte Album in der Diskographie wurde, wie sein Vorgänger schon, in den Horus Sound Studios in Hannover eingespielt, einem der heute noch führenden Aufnahme-Tempel in Deutschland. Die dort vorhandenen technischen Möglichkeiten waren damals schon sehr fortschrittlich und hatten der Band bei den vorhergehenden Aufnahmen sehr geholfen. Die Aufnahmen bedurften dieses Mal jedoch nur knapp eineinhalb Monate – der Vorgänger hatte wegen technischer Schwierigkeiten bei den Schlagzeugspuren viel länger gebraucht und war entsprechend auch deutlich teurer in den Kosten gewesen. Differenzen hatten parallel dazu zu einem Zerwürfnis mit dem Label Noise Records geführt. Da man allerdings noch einen Vertrag über ein Album hatte, war man sich bandintern einig, die Verpflichtung zu erfüllen und dann nach einem neuen Vertragspartner zu suchen. Daher handelt es sich bei “Masquerade“ um das letzte RUNNING WILD-Album in dieser Reihe.

Und die Band war sich im Klaren darüber, dass ein halbherziges Album nur den Streit auf dem Rücken der Fans ausführen würde. Außerdem hatten sie aus den Streitigkeiten zwischen Noise und HELLOWEEN gelernt, dass diese nur dem Ansehen der Band schadeten (nachzulesen auch in dem sehr empfehlenswerten Buch “Systemstörung – Die Geschichte von Noise Records“). Also ging die Band wie gewohnt ans Werk und begann mit diesem Album eine lose inhaltliche Trilogie, die mit den folgenden beiden Studiowerken “The Rivalry“ und “Victory“ (die bei Gun Records erschienen) fortgesetzt wurde. Das übergeordnete Thema war „Gut und Böse“, das Kasparek in allen Bereichen des Lebens sah, auch in denen, die sich eigentlich auf die Fahne geschrieben hatten, den Menschen zu dienen und ihr Leben besser zu machen.

Aber „entscheidend ist auf dem Platz“, in diesem Fall also welche Musik dem Piraten-Kapitän dazu einfiel, und da konnte sich Rock ‘n‘ Rolf wieder mal auf sein Gespür für treibende und melodiöse Metal-Songs verlassen. Das mögen manche Kritiker natürlich alles als sehr gleichförmig empfinden, aber Fans werden diese Verlässlichkeit als positiv bewerten, zumal wenn sie in der Form solch mitreißender Stücke wie Masquerade und Demonized den Hörer direkt mit Hochgeschwindigkeit in das Album hineinsaugt und erst nach den letzten Tönen von Underworld wieder zu Atem kommen lässt. Die Band bleibt ihrem Stil treu und geht keine Kompromisse ein, so wie sie es seit Beginn ihrer Karriere immer gehalten hatten und schwangen sich zu einem weiteren Meisterwerk in ihrer Karriere auf. Und so findet man hier keinen schwache track auf dem Album, das in den „goldenen Zeiten“ des Heavy Metal etwa zehn Jahre zuvor sicherlich für den internationalen Durchbruch der Band gesorgt hätte, so aber nicht die Aufmerksamkeit bekam, die es verdient gehabt hätte.

Denn “Masquerde“ gehört zusammen mit “Black Hand Inn“, “Death Or Glory“, “Port Royal“ und “Under Jolly Roger“ zu den Highlights der Band, an die sie in der Folge nicht mehr ganz heranreichen sollten. Aber dank dieser sehr schön aufgemachten “Deluxe Expanded Edition“-Reihe kann man die Meisterwerke von RUNING WILD nun noch einmal als das entdecken, was sie sind: Meisterwerke des Deutschen Heavy Metal. Dabei hätte ich mir ganz persönlich statt der ja seit der Compilation “20 Years In History“ bekannten Neu-Einspielungen (die hier ja nur neu verteilt wurden)l lieber Demos, mehr unveröffentlichte Tracks oder auch Live-Aufnahmen gewünscht. Aber das ist natürlich das berühmte „Meckern auf hohem Niveau“. Denn natürlich sind diese Re-Releases auch dank des geschmackvollen Remasterings wirklich hervorragend, mit den liebevoll gestalteten Artworks und den jeweiligen liner notes von Malcolm Dome (englischer Journalist, der unter anderem für Kerrang!, Metal Hammer und Classic Rock geschrieben hat). Hier gilt, wie schon bei den Re-Releases von CELTIC FROST und VOIVOD eine dicke Kaufempfehlung.

Marc Langels, 19.08.2017

 

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