Stuttgart-Wangen, 04.03.2001

Darf man sich über eine Band lustig machen, wenn man weiss, daß diese Band 250% Herzblut und Überzeugung in ihre Musik steckt? Man darf!

SACRED STEEL entern um 19 Uhr 45 die Bühne und ich fühle mich zurückversetzt in die Mitte der 80er, als man am Wochenende nach Poltringen fuhr, um dort den Helden des Heavy Metal zu huldigen, oder nach Dachtel, wo die Turn- und Festhalle einen fast so legendären Ruf genoss, wie das Hammersmith Odeon, das Whiskey oder der Cat Club. Tja, damals hätte eine Band wie SACRED STEEL dort die Massen der Dorfjugend begeistert und einen Hauch dessen vermittelt, was in der großen Welt des Heavy Metal wirklich Bedeutung hat.
Heute dagegen ist eine Band dieser Güteklasse Realsatire. Okay, man geht mit dem Zeitgeist und trägt im Durchschnitt schnittige kurze Haare (Zwei Glatzen, drei Matten), aber musikalisch ist man bis zum geht nicht mehr im Vorgestern verwurzelt.
SACRED STEEL, das ist die Fleisch gewordene Reinkarnation früher MANOWAR, schlechten JUDAS PRIEST und unzähliger US-Metal-Bands wie sie auf dem französischen Black-Dragon-Label Gang und Gäbe waren. Songtitel wie Stormhammer und Wargods of Metal sagen schon alles und natürlich spielten sie ihre Hymne Hail to the sacred furz of steel in an iron trouser...

Gut, um wieder seriös zu werden, schlecht waren SACRED STEEL nicht, aber total überflüssig! Doch man muss der Band zugestehen, daß sie eigentlich können, nur meist nicht wollen. Die Alibiballade erinnerte doch gewaltig an die göttlichen HEIR APPARENT und die Frage muß gestattet sein, ob es der Band nicht besser zu Gesicht stünde, öfter mal den Fuß vom Gas zu nehmen und gemäßigtere Töne anzuschlagen.

CHILDREN OF BODOM spielen da schon in einer ganz anderen Liga.
Ich gebe zu, ich war sehr gespannt, wie es die Band schaffen würde ihr komplexes, anspruchsvolles Material live zu präsentieren. Um gleich die Antwort zu geben: Hervorragend.
Ich befand mich vom ersten Ton an in einem schier unlösbaren Dilemma: Bis zur Ekstase mitbangen oder einfach nur fasziniert zuhören, wie sich Keyboard, Gitarren und Gesang in einer wahnsinnigen Schlacht aufreiben.
CHILDREN OF BODOM, das sind majestätische Keyboards, die sich überwiegend an klassischen Themen orientieren, Griek und Sibelius lassen grüßen. Das sind Gitarren in bester MALMSTEEN / MACALPINE / TAKASAKI / VINNIE MOORE - Tradition und derbe Death-Metal-Growls.
Die Musik lebt von der Spannung dieser Gegensätze und die Finnen zelebrieren ihren Sound voller Perfektion und mit unbändiger Spielfreude.

Ich entscheide mich fürs Mitbangen und beim zweiten Song Bodom after midnight, verabschiedet sich mein linker Hearsafe. Wo ist der Scheiß-Plastikstöpsel? Einmal über den Boden gerobbt... Fehlanzeige! Sei's drum! Nehmen wir einen Schluck Bier... Hoppla, da ist er ja wieder, nun zwischen meinen Zähnen.

Knapp eine Stunde lang toben CHILDREN OF BODOM durch das Material ihrer drei bisherigen Studioalben.
Das ist kein Sound für Schattenparker und Frauenversteher (oh Gott, heute, 08.03., ist Frauentag. Fred, HoR), hier regiert pure Aggression und trifft sich mit musikalischer Perfektion.
In 30 Sekunden passiert in einem CHILDREN OF BODOM-Song mehr als zuvor in 30 Minuten SACRED STEEL. Okay, das ist kein leichtverdaulicher Dreiakkorde-Riff-Rock, das ist teilweise sehr schwerverdaulicher, komplexer, anspruchsvoller und auch anstrengender Stoff, aber wir sind ja auch nicht bei AC/DC. Eine der aufregensten und innovativsten Heavy Metal Bands der Gegenwart hat das LKA im Handstreich erobert.

Klar, dass es schwer wird für PRIMAL FEAR da noch einen draufzusetzten, zumal die CHILDREN OF BODOM-Shirts im Publikum überwiegen, doch die Schwaben setzen auf den Heimvorteil und eine ausgeklügelte Lightshow. Keine Frage, musikalisch können PRIMAL FEAR den Finnen nicht das Wasser reichen, also muss die Trumpfkarte Showeffekte stechen.
Es ist der letzte Gig der gemeinsamen dreiwöchigen Europatour und gestern im westtschechischen Kaufbeuren herrschte absolutes Pyroverbot. Also ist 'Reste abfackeln' angesagt.
Schon beim Intro haben die schwäbischen Powermetaller mehr Resourcen zur Verfügung als beide Support Acts zusammen. Originell, die an die Wände projezierten Sägeblätter, das Emblem der ersten beiden Alben. Angel in Black bildet den Auftakt und Ralf 'was glotzsch, d'r Hälford hat etzt au a Glatz' Scheepers kann die Belastung für seine Stimmbänder in den letzten drei Wochen nicht kaschieren.
Schade, ein Scheepers in Normalform gehört zu den besten Metal-Shoutern, ein angeschlagener Scheepers ist zwar immer noch besser als 90% der Konkurrenz, aber ein fader Nachgeschmack bleibt.
Dennoch lassen PRIMAL FEAR kaum Wünsche offen und präsentieren ein Best of-Programm mit Schwerpunkt auf den schnelleren Stücken. Geradezu genial, wie man Stefan Leibing und Henny Wolter, die beiden Gitarristen ins Rampenlicht schubst. Jeder bekommt ein kurzes Solo, das zugleich Intro für den nächsten Song ist. Auch das Schlagzeugsolo von Klaus Sperling wird sehr dezent in einen Song integriert. Klasse, so lass ich mir das gefallen.

Knapp zwei Stunden lang feiert die Band mit ihren Fans das aktuelle Album "Nuclear fire" und den Abschluss einer erfolgreichen Europatour.
Im Zugabenblock gibt es dann noch You've got another thing comin' von JUDAS PRIEST. Das verstehe, wer will. Da kämpft die Band um Ralf 'Fascht wär I d'r Nachfolger vom Hälford g'word'n' Scheepers vehement gegen den ewigen Vergleich mit JUDAS PRIEST in der Presse und dann geben sie ihm selbst neue Nahrung ... Na ja. Unter dem Strich trotz allem ein gelungener Auftritt, wenngleich man den stärksten Song Tears of Rage wieder einmal aus der Setlist gekippt hat und der eigentliche Sieger des Abends erwartungsgemäß CHILDREN OF BODOM heißt.

Martin Schneider 04.03.2001

 

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