Bis sich die New Yorker Musikjournalistint Amanda Petrusich so richtig mit Musik beschäftigen konnte, war selbst die jahrzehntelang dominierende Vinyl-LP auf dem absteigenden Ast und die digitale (Musik-) Welt hielt Einzug. Der Fluch der späten Geburt (1980). Was sie aber nicht abhielt, sich eingehend, tiefschürfend und vor allem leidenschaftlich mit den Wurzeln der amerikanischen Musik zu beschäftigen. Was unter anderem zu dem Buch “It Still Moves, Lost Songs, Lost Highways and the Search for the Next American Music“ sowie 2019 zu einer Grammy Nominierung führte.
In “Um keinen Preis verkaufen“ nimmt sie uns vielleicht nicht unbedingt auf eine “wilde“ (wie der etwas reißerische Untertitel verspricht), aber zweifellos höchst interessante und aufschlussreiche Reise durch die frühen und späteren Jahre, als man anfing, Musik auf “Schallplatten“ zu pressen. Relativ schnell erlangt sie Zugang zu dem vergleichsweise kleinen Kreis, der 78er Sammler. Jener Schellackplatten, die der Vorläufer der Vinyl-Scheiben waren und die zuerst vom Radio und dann von eben jenen verdrängt wurde. Leser meines Jahrgangs, können es noch relativ leicht nachvollziehen, wenn Amanda vom “stöbern in Plattenläden“, dem “Kaufen von Platten nur nach dem Cover“ schreibt. Aber wenn es dann darum geht, dass “irgendwo da draußen“, Platten existieren, “von denen nur ein oder zwei Exemplare gepresst wurden“, kann man das Sammelfieber schon bald nachvollziehen, dass etliche Zeitgenossen ergreift.
Einige davon lernen wir in diesem Buch kennen. Schrullige Typen, die zehntausende von 78ern horten, aber fast immer bereit sind, die Schmuckstücke aus ihrer Sammlung vorzuspielen oder sie sogar für Sampler zur Verfügung zu stellen. Anscheinend wäre ohne diese Sammler viel Musik aus dem letzten Jahrhundert verloren gegangen. Ob Blues, Jazz, Country und diverse andere Stilrichtungen. Dabei wird auch klar, dass beileibe nicht nur in Amerika musiziert und auf Tonträger gepresst wurde. Bis in die entlegendsten Winkel der Erde ging das so und sind sie zu finden.
Oder auf dem Grunde eines Flußes. Hier nimmt Petrusichs Buch dann schon fast kriminalistischen Charakter an, wenn sie nach vermeintlich (oder tatsächlich?) im Milwaukee River versenkten Schellacks sucht. Und sie ist sich auch nicht zu schade, nach Deutschland zu reisen und die Spezialisten von Bear Family aufzusuchen. Da es sich überwiegend um Blues dreht, kommt es natürlich häufiger auf die frühen Blues-Musiker zu sprechen. Bekannte Größen, wie auch eher wenig bekannte. Allein deswegen ist dieses Buch schon jedem Blues-Freund zu empfehlen.
So viele neue Eindrücke und Informationen erhält man nahezu nebenbei. Kaum ein paar Seiten gelesen, musste ich meine Lektüre schon unterbrechen, um den erwähnten Film “Ghost World“ (mit Steve Buschemi) anzusehen und häufig hörte ich mir Titel an, die im Internet zu finden sind. Und sollte ich selbst noch in die Materie des 78er Sammelns einsteigen wollen, weiß ich nun schon, dass ich am besten in Virginia und West Virginia suchen sollte. Und Amandas Tipp “wenn Sie jemanden den Tag retten wollen, dann legen Sie ihm Skokiaan auf“ werde ich gelegentlich auch beherzigen.
Eingebettet in den Prolog von Christoph Dallach und Andreas Maiers “Essay über das Sammeln“ erhält man hier ein absolut unterhaltsames und gleichzeitig lehrreiches Werk. Dessen Titel könnte zurecht auch lauten: “Auf jeden Fall kaufen“.