Veldensteiner Festival 2002
27.7.2002, Neuhaus a. d. Pegnitz, Burg Veldenstein
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Kaum ein zweites Festival konnte in diesem Jahr mit einem ähnlich ansprechenden und hochkarätigen Billing aufwarten,
wie der Ableger der Feuertanz-Veranstaltungen auf Burg Veldenstein. Fünf Bands, die stilistisch eine große
Bandbreite aufweisen, aber trotzdem die gleiche Zielgruppe ansprechen. Fünf Bands, die allesamt schon in der
Vergangenheit nachdrücklich herausragende Livequalitäten unter Beweis gestellt hatten. Dazu ein stimmungsvoller
Veranstaltungsort... Beste Vorausetzungen also.
Eine mittelalterliche Burg ist zwar ein stimmungsvoller Veranstaltungsort, birgt aber auch einige Tücken für den
Veranstalter, da sie nun mal ursprünglich nicht dafür konzipiert wurde, dort Open Airs zu veranstalten. Überraschend
problemlos erwies sich die Suche nach einem Parkplatz in Neuhaus und auch der Einlass funktionierte fast reibungslos,
weil er intelligent angedacht war und entsprechend durchgeführt wurde. Trotz des Nadelöhrs Burgtor ging es recht zügig
und ohne großes Gedränge von statten.
Die Bühne war im Haupthof der Burg plaziert, einem leicht abfallenden Naturgelände, dass allerdings auch einen
Spielplatz und vereinzelte Bäume beherbergte.
Die Zeit reichte auch noch für einen kurzen Abstecher auf den in einem höher gelegener Teil der Burganlage
angeschlossenen Mittelaltermarkt. Hier konnte sich der Freizeitritter mit allen wichtigen Utensilien des täglichen
altertümlichen Lebens eindecken: Leichte Rüstungen, mittelalterliche Kleidung und Schmuck, magische Amulette,
Trinkhörner, aber auch eine Kartenlegerin, ein Tättowierer und natürlich eine Vielzahl von Anbietern von Speis und
Trank waren vor Ort. Deren Angebotspalette reichte von nahezu stilechter mittelalterlicher Koch-, Brat- und Braukunst
bis hin zu bei uns erst in der jüngeren Vergangenheit bekannt gewordenen Gerichte, wie Gyros oder dem Gerstensaft des
Hauptsponsors.
MILA MAR

Besonders gespannt war ich auf MILA MAR, die als erste Band gegen 15 Uhr den Reigen eröffneten. Die große Frage war
schlicht und ergreifend: Funktionieren die sphärischen, emotionalen Klanggebilde der Göttinger auch in der gleißenden
Nachmittagssonne? Entsteht die selbe Magie wie in den kleinen Clubs auf der letztjährigen Tournee, wo eine dezente,
aber effektive Lightshow Hilfestellung geben konnte?
Es funktionierte perfekt, weil die Musik dermaßen intensiv ist und den Hörer fesselt. Dazu kam die wieder einmal
beeindruckende Bühnenpräsenz von Sängerin Anke Hachfeld, der man sich wohl nur entziehen kann, wenn man gleichzeitig
taub und blind ist.
Wer erwartet hatte MILA MAR würden auf Nummer sicher gehen und verstärkt auf die etwas eingängigeren Songs des
letzten Albums "Elfensex" setzen, der sah sich getäuscht. Natürlich war die O.M.D.-Coverversion
Maid of
Orleans im Programm, doch schon die zweite "Elfensex"-Single
Silver star fiel durchs Raster. Statt
dessen verzauberten MILA MAR mit atmosphärischen, percussionintensiven Werken wie
Nova, setzten mit dem
beschwingten
Elfentanz einen lichten Kontrastpunkt um dann mit dem mystischen Depressivmonster
Follow me
das Publikum endgültig aus der Realität in ein fremdes Universum zu katapultieren. Dort scheint nur noch der Einzelne
und die Band zu existieren, die mit Hilfe ihrer Musik das gesamte Spektrum an Emotionen aus dem tiefsten Inneren an
die Oberfläche ruft. Die Show gipfelte in dem grandiosen
Was bleibt? als Zugabe und nach dieser beeindruckenden
Performance fiel die Rückkehr in die Gegenwart mehr als schwer.
Eine Frage beschäftigte mich dann aber doch intensiv nach dem Auftritt. Welche Kriterien befähigen einen Menschen im
Fotograben Security-Aufgaben wahrzunehmen. Dicke Muckies? Grimmiges Auftreten? Auf Drei zählen zu können scheint auf
jeden Fall nicht notwendig zu sein. Trotz anderslautender Vereinbarungen wurde man bereits nach dem zweiten Song aus
dem Fotograben getrieben. Diskussionen zwecklos.
Dieses Spielchen wiederholte sich bei MERLONS LICHTER und es schien dem Chefschergen sogar ein besonderes Vergnügen
zu bereiten sich demonstrativ so aufzubauen, dass auf jeden Fall das Fotografieren so schwer wie möglich wurde.
Liebes Konzertbüro Franken, ich weiß ja nicht, wo ihr solche Raketen auftreibt, aber sicherlich sollte es nicht
die Hauptaufgabe der Security sein, die Pressearbeit zu behindern. Schickt doch die Truppe mal mit der Security vom
Music Circus Stuttgart aufs Bang Your Head-Festival, damit sie mal Anschauungsunterricht bekommen, wie
entspannt man gemeinsam und jeder für sich seinen Aufgaben nachkommen kann, ohne dem anderen, absichtlich oder auch
nicht, das Leben schwer zu machen.
MERLONS LICHTER

Zum dritten Mal innerhalb von sieben Monaten MERLONS LICHTER. Da rechnete ich nicht unbedingt mit furchtbar großen
Überraschungen. Und doch... ich kann mich nicht erinnern, dass die Band jemals in ihrer langen Geschichte die
Gitarren so heftig und agressiv in den Vordergrund gestellt hatte. 'MERLONS go Metal' wäre jetzt sicher etwas
übertrieben ausgedrückt, aber die erdigen, schmutzigen Gitarrenriffs hoben doch einige der Songs auf eine neue
Existenzebene. Mir gefiel dieses Facelifting der Kompositionen ausgesprochen gut, und vor allem nach der
gitarrenfreien Zone MILA MAR war es mehr als angenehm mit der Sechsaitigen ein paar übergebraten zu bekommen.
Die MERLONS hatten das Publikum recht schnell im Griff, wenngleich zu Beginn noch einige unqualifizierte Zwischenrufe
die Rückkehr von Ex-Sängerin Ani forderten. Auffällig, dass das Publikum sehr mittelalterfixiert war und somit Stücke
wie
Fiere oder
Yoik für die stärksten Resonanzen sorgten. Ein paar Auszüge aus "Die wahre Mutter
Gottes", leider nicht
Eli, Eli Lema Sambachtani, ein paar Klassiker wie
Deswegenweise und gegen Ende
der Show gab es mit
Ich würde so gerne in Dir sein noch einen neuen vielversprechenden Song, der auch auf dem
aktuellen Album eine gute Figur gemacht hätte.
Obwohl heftig gefordert musste die Band ihre fest eingeplante Zugabe dem hoffnungslosen Versuch opfern einigermaßen
den Zeitplan einzuhalten. Hätte man stattdessen doch besser den albernen Pausenclown heim geschickt, der meinte die
Bands mit halbgaren Standardformulierungen, die dreist aus den jeweiligen Plattenfirmeninfos geklaut waren, ankündigen
zu müssen. Vor allem von MERLONS LICHTER in einer solch bestechenden Form wie an diesem Tag hätte es ruhig noch etwas
mehr sein dürfen.
SCHANDMAUL

SCHANDMAUL sind die aktuellen Shooting-Stars der Mittelalterszene, was bei einigen der etablierten Bands nicht gerade
mit uneingeschränktem Wohlwollen zur Kenntnis genommen wird. Um so mehr liegt das Publikum dieser Band zu Füßen, wo
immer sie auch auftritt. Auch Burg Veldenstein machte da keine Ausnahme und mittlerweile war es im Hof vor der Bühne
so eng geworden, dass der Fotograben nur noch unter erheblichen Mühen erreicht werden konnte.
Was aber ist dran an dieser Band? SCHANDMAUL sind ganz einfach erfrischend anders als das Gros der Szenekollegen.
Anstatt auf bratende Gitarren oder harsche Elektroklänge zu setzen suchen SCHANDMAUL ihr Heil in einer verstärkten
Zuwendung zum Folk und zur Liedermacherszene. Damit gehen sie locker als legitime Nachfolger von OUGENWEIDE durch,
freilich vom Nostalgiestaub der Siebziger befreit, um einiges frischer und moderner. Oder aber, man nähert sich der
Band aus der Folkrock-Seite, dann kann man durchaus Paralellen zu britischen Folkrockern wie der OYSTERBAND oder den
LEVELLERS ziehen, aber eben angereichert mit mittelalterlicher Ausrichtung.
Auf der Bühne überzeugen SCHANDMAUL als eine Band, die für Partystimmung sorgt und sehr spontan wirkt, dabei ist es
jedoch nicht zu übersehen, dass viel Arbeit in die Bühnenpräsentation der Band gesteckt wurde. Die Choreographie sitzt,
und das muss sie auch, denn sonst käme es unweigerlich zu einem Chaos. Vor allem Birgit Muggenthaler und Anne Kränzlein
sind fast ständig in Bewegung. Die Posen stimmen und da sie nie aufgesetzt wirken, vermitteln sie ein harmonisches Bild
der Band.
Auch musikalisch ist alles im grünen Bereich. Die Schandmäuler haben alle ihre Hits am Start, sei es nun
Herren der
Winde oder
Die goldene Kette. Im Publikum herrscht gute Laune und ausgelassene Party-Stimmung. Nicht mehr,
aber auch nicht weniger erwartet man von SCHANDMAUL. Ein überzeugender Auftritt, der geradezu nach einer Wiederholung
schreit.
FIDDLER'S GREEN

FIDDLER'S GREEN wirkten auf den ersten Blick etwas deplaziert im Billing. Andererseits gibt es nur wenige Bands die man
so problemlos auf jedem x-beliebigen Festival völlig unabhängig von der stilistischen Ausrichtung einbauen kann. Die
fränkischen Speedfolker könnte man bei einem unsäglichen Popkomerzspektakel wie
Rock am Ring genau so
präsentieren, wie auf einem der
Hard Union-Festivals, oder eben beim
Feuertanz.
Live sind die FIDDLER'S eine Macht und in Verbindung mit dem Heimvorteil - das heimische Erlangen ist ja gleich um die
Ecke - räumte die Band nach allen Regeln der Kunst ab. 'Spaß haben' war das Gebot der Stunde, sowohl vor als auch auf
der Bühne. Die Mischung aus keltischen Folktraditionals und Eigenkompositionen verfehlte ihre Wirkung nicht und Band
und Publikum feierten eine ausgelassene Party.
FIDDLER'S GREEN sind eine Band die von Gegensätzen lebt und auch mit ihnen spielt. Da hüpft der Metal-Gitarrist mit
einem Sänger, der wie der Traum eines Schwiegersohns aller spießigen Mütter aussieht, gemeinsam um ein Pappmaché-Schaf.
Traditionelle, meist akustischen Folkinstrumente und hart rockenden Gitarren setzen spannende Kontrapunkte und
harmonieren doch auf scheinbar wundersame Weise. Selbst die unvermeidlichen Reggea- und Ska-Einschübe erträgt man mit
Fassung. Spätestens bei
The bonnie ship the diamond oder
Blarney roses ist die Welt ja wieder in Ordnung.
Eins muss man FIDDLER'S GREEN einfach lassen: Sie haben einen verdammt hohen Unterhaltungswert.
IN EXTREMO

Das IN EXTREMO zu den derzeit heißesten Liveacts zählen sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Das liegt
allerdings nicht nur daran, dass bei den Mittelalter-Rockern auf der Bühne mittlerweile eine regelrechte
Materialschlacht tobt. Vor Ort sah man sich sogar noch gezwungen, sich bei lokalen Handwerksbetrieben mit weiteren
Gasvorräten einzudecken.
Alle paar Sekunden blitzt und donnert es irgendwo, sprüht ein Funkenregen oder schießt eine Flammenfontäne in den
Nachthimmel. Dazu kommt eine perfekt ausgeklügelte Choreographie der Musiker. Ja, die Laufwege müssen stimmen, will
man bei einer solch intensiven Pyroshow nicht auf der Bühne gegrillt werden.
IN EXTREMO bewegen sich auf einem schmalen Grad. Wenn die Spontanität der Performance geopfert werden muss, dann ist
es nur ein kleiner Schritt bis zur Sterilität. Doch der Band steht als Gegengewicht das exquisite Songmaterial zur
Verfügung. Mit dem Fundus aus den beiden hervorragenden Alben "Sünder ohne Zügel" und "Verehrt und angespien"
kann man schon ein abendfüllendes, mitreißendes Programm präsentieren. Das war nicht immer so, wenn man sich an die
Zeiten erinnert, als man nur die Songs des Debüts "Weckt die Toten", das doch einige schwächere Stücke aufweist,
zur Verfügung hatte.
Gerade bei den alten Stücken des Debüts wird deutlich, welch Fortschritte die Band in musikalischer Hinsicht gemacht
hat. Das
Palästinalied oder
Ai vis lo lop stehen heute live den aktuellen Songs in Punkto Ausstrahlung
und Energie in nichts mehr nach, obwohl die Studioversionen das Gefühl vermitteln schon etwas Staub angesetzt zu
haben.
IN EXTREMO bieten auch auf Burg Veldenstein ein beeindruckendes Konzerterlebnis, doch so richtige Begeisterung will
sich bei mir dieses Mal nicht einstellen. Das liegt aber nicht an der Band, sondern einfach daran, dass viel zu viele
Leute sich auf zu wenig Raum drängen und das Konzerterlebnis gewaltig schmälern.
Danke an Jutta Münch vom Konzertbüro Franken für die freundliche Unterstützung, Achim und Familie für das spontane
Grillen im Garten und natürlich Jörg Litges (Scans).
Juli/August 2002
Martin Schneider, 30.08.2002